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Stell’ Dir vor, es ist Krieg und alle reden mit.

Markus Klingelhöfer

7. März 2022

Da wir uns mit der Funktionsweise von Kommunikation beschäftigen, ein paar Gedanken zur aktuellen Kommunikation im Kontext des Russland-Ukraine Krieges.

Krieg ist doof, aber nichts außergewöhnliches oder nie dagewesenes – zumindest für Menschen über 14 mit Informationszugang und durchschnittlicher Allgemeinbildung. Man denke an Syrien oder den Jemen, um nur zwei aktuelle (und bereits mehrere Jahre andauernde) Kriege zu nennen.

Und dennoch ist es jetzt etwas anders. Der russische Überfall der Ukraine beherrscht derzeit nicht nur die Medien, sondern auch die öffentliche Kommunikation, insbesondere auch die von Unternehmen und Unternehmer*innen. Das geht von Ukraine-Flaggen auf Facebook Profilen über Blau-Gelb eingefärbte Unternehmenslogos zu Blau-Gelb angeleuchteten Gebäuden bis hin zu Spenden, Boykott und Abbruch von Geschäftsbeziehungen.

Warum fühlt sich diesmal fast jeder dazu berufen, sich zu äußern oder zu engagieren? Warum wurden und werden Gebäude nicht in den Farben des Jemen angestrahlt? Was macht den Russland-Ukraine Konflikt "populärer" als andere?

Ich hoffe, es liegt nicht daran, dass wir es diesmal mit "echten" Flüchtlingen zu tun haben, wie die NZZ zynisch schreibt. Ich vermute vielmehr, dass wir gerade eine Ahnung von der Kommunikationswelt der Zukunft erhalten: Eine Welt, in der JEDER eine Meinung zu allem hat, diese öffentlich und für ALLE sichtbar äußert und sogar durch Taten unterstreicht. Ob dies aus echter Anteilnahme, Eitelkeit oder Profilierungssucht geschieht ist unwichtig – interessant ist, was daraus folgt. Sicher viel positives, wie die zahlreichen individuellen Engagements und Spenden zeigen. Aber gleichzeitig auch viel negatives. Denn wenn jeder (Laie) meint, auch bei Weltpolitik aktiv zu werden, kann dies schnell fragwürdige Handlungen auslösen, wie wir sie derzeit auch erleben: Beleidigungen und Angriffe auf russischstämmige Menschen, Auslistung von Produkten, die angeblich aus Russland kommen oder die Diskussion, ob man Anna Netrebko noch auftreten lassen darf.

Kann eine Welt, in der jeder seine Meinung lautstark und öffentlich vor sich herträgt, noch Diskurs ohne Konfrontation ermöglichen? Was ist mit denen, die sich nicht äußern – wird man sich in Zukunft immer für eine Seite eintscheiden müssen? Und ist jeder, der nicht der dann im wahrsten Sinne offensichtlichen Mehrheit folgt, ein "Querdenker"? Wie sehr wird man geächtet, wenn man nicht wie der Mainstream handelt? Und wie viele werden einfach aus Prinzip gegen den Mainstream handeln?

In der Kommunikation beobachten wir schon lange den Trend, dass auch Marken und Unternehmen "Haltung" zeigen müssen. Wie wird es sich auswirken, wenn diese Haltung in Zukunft zu allem und jedem erforderlich ist? Schafft diese eine Welt, in der die Polarisierung zunimmt: "Wer nicht für mich ist, ist gegen mich"?

Ich habe keine Antwort darauf, aber es macht mir Sorgen.


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